Erika Rauschning - malerin und lyrikerein

Der Verdacht fliegen zu können

ZU ERIKA RAUSCHNING

Der Verdacht fliegen zu können 

"Komm mir nicht nahe, ich trage in mir alle Schönheit, 

die die Welt nicht kennt oder verleugnet. 

Such in meinem Werk das, was du vergeblich fragst." 

(Paul Cézanne)

 

Wer 1999 über Malerei allgemein oder eine Malerin speziell sprechen will, fragt sich, wie tief eigentlich die Kluft geworden ist zwischen den Anschauungen jenes Ahnherrn der Moderne aus Aix-en-Provence und dem, was Kunstinteressierte heute unter Moderner Kunst verstehen. 

 

Der Weg der Malerei, der Kunst, durch dieses Jahrhundert war vielfältig an Stationen, an Turbulenzen und Schnittpunkten, an Emotionen und Aktionen. Trotz allem gilt zu erinnern, dass schon Cezanne seine berühmten "Badenden" nicht mehr malte, um die Schönheit des menschlichen Körpers zu feiern - dass auch er die augenscheinliche Wirklichkeit längst dezimiert hatte zur Inspirationsquelle neuer Formen und Farbrhythmen. Gleichwohl scheint die Distanz zum ehemals rebellischen Franzosen riesig. 

  

Die Ansichten darüber, was wirklich oder wesentlich in der Kunst (oder für die Kunst) sei und wie an das Publikum heranzubringen, zersplitterten in diesem Jahrhundert immer schneller. Und immer entschiedener. Die letzten anderthalb Jahrzehnte etwa schossen sich ein auf eine Mischung aus "Überraschungs- und Sensationskunst" einschließlich Jan Häfströms "Ausstellung elegant verpackter Lumpen." 

Ein gewisser Zenit scheint diesbezüglich derzeit erreicht, so dass sich ein entnervter Lars Gustafsson fragt: "Was ist eigentlich mit der Kunst los?"  Statt Kunst erblickt er in den westlichen Ländern, landauf, landab, "Unsicherheit, schwache Kreativität und das Unvermögen zu überzeugen." 

  

Das Publikum wird diesem Vakuum gegenüber auf undemokratische Weise auf die Knie gezwungen. Das Kriterium des "Nichtnachvollziehbaren" regiert die Kunstszene und schafft gebührenden Abstand zwischen Betrachter (bzw. Kunstkonsument) und Kunstprodukt. Folgerichtig tritt nun der Künstler als Messias auf. Er redet, er erklärt - gern auch halbphilosophisch - gibt jedenfalls wortreiche Statements ab, um sein unverstandenes Produkt gesund zu formulieren. Möglicherweise lichtet sich der Dunstkreis zwischen Künstler und Kunstjüngern. Mit Sicherheit aber schaukelt sich die verbale Trapeznummer des Künstlers zum eigentlichen Kunstgegenstand hoch.

Unberührt von derart hirnlastiger "Treibhauszucht", die beispielsweise blutige Ziegenköpfe in Badewannen versenkt mit dem Anspruch, politische Kunst zu machen, geht die Malerin Erika Rauschning ihren Weg. Ihre Bilder brauchen nicht darüber aufzuklären, dass sie Bilder sind. Erika Rauschnings Malerei ist "Sprungbrett fürs Auge". Immer noch. Sie inspiriert den Betrachter zu optischen Entdeckungsreisen in Bildwelten, die von eigener Wirklichkeit sind - einer Wirklichkeit, in der malerische Besessenheit, farbliche und formale Intuition Regie führen. 

Völlig unangepasst also betreibt die Künstlerin aus Osnabrück ihre Rebellion, indem sie Menschen, Dingen und Landschaften (nicht Müllhalden, wie es die neue Vue verlangt) ihre gebieterische Handschrift aufdrückt, indem sie Welt wieder sichtbar macht, statt diese zu erörtern oder gar einunddreißigmal das Wort "warum" auf 31 Leinwände zu schreiben. Sie schafft Bilder mit Farben, Pinsel und Messer. Wie zeitgemäß! 

 

Erika Rauschning über sich selbst: 

"Die Farben, die Pinselstriche, die ich setze, werden mir von meinem Inneren gesagt. Ich muss nur immer hellhörig genug sein im Umgang mit mir selbst. Dazu kommt eine schier endlose Kraft, die mich nie aufhören lassen möchte. Meine "Technik" ist nicht angelernt, sondern gewachsen, entstanden in einem ständigen Arbeitsprozess. Ich bin süchtig nach dieser meiner freiheitlichen Art der Malerei." 

 

In diesen ihren freiheitlichen Raum gehört auch der schlafwandlerisch sichere Wechsel zwischen gegenständlicher und ungegenständlicher Sichtweise, zwischen benannten und unbenannten Formen sozusagen. Erika Rauschning jedenfalls "sieht", was sie malt - auch das scheinbar nicht Existierende. Sie bringt auf die Leinwand, was als "innerer Film" abläuft. 

 

Dieser Realität des Ungegenständlichen entspricht die Vitalität der malerischen Umsetzung, entspricht die umweglose und direkte Farbigkeit, die wilde Gestik des Auftrags. Dabei ist in den letzten Jahren ein deutlicher Fluss hin zum Informel zu beobachten. Die spontane Explosivität des Malvorgangs gerinnt zum Bildgegenstand selbst. Hierzu zählen die "Großen Gelben" (S. 18/19). 

 

Die gleiche Wucht von Explosivität herrscht aber auch im "Gegenreich der benannten Formen", in den "Großen Figürlichen" (S. 28/29) beispielsweise, die zudem in ihrer Mischung aus einer gewissen Frivolität und Anonymität faszinieren. Die sinnlich gerundeten Sessellehnen werden dabei zu gefügigen Mitspielern.  

 

Zu Freiheit und Rausch des Maiens, so wie Rauschning das sieht, gehört auch der häufige, von der kreativen Lust bestimmte Wechsel der Techniken, der malerischen Inangriffnahme. Die Künstlerin bewegt sich übergangslos vom Aquarell zur ÖI-Acryl- Malerei, von der Kohle- zur Tuschzeichnung. Dabei transportiert sie Erfahrungen, aber auch neue Inspiriertheit, von einem Medium hinüber zum anderen. So bleiben Anreiz und Provokation geschärft. 

 

Die Aquarelle verschiedener Sujets und die Tuschpinselzeichnungen von Portraits stehen für Professionalität. Sie spiegeln ungebrochen Heftigkeit und Nahtlosigkeit von visuellem Erfassen und Bildwerdung. Die Klarheit der Farben besticht und verschlüsselt zugleich den Entstehungsprozess der Aquarelle. Der Betrachter sucht vielleicht - jedoch vergeblich - nach Vorzeichnungsresten, die tatsächlich nicht existieren. Die absolute zeichnerische Sicherheit erlaubt es der Malerin, sofort in Farbe zu beginnen. Die Griffigkeit von Formen und Konturen - ob in den Städtebildern, Stillleben oder Bewegungsszenen - ergibt sich aus dem Gegeneinander entschieden gesetzter Farbtöne und -flächen. Und die Erfahrung im Umgang mit ungegenständlicher Malerei scheint ihren Blick für kompositorischen Aplomb zu bestimmen. 

 

In ihrer stürmischen und zugleich vereinfachenden Farbigkeit wirken die Landschaftsbilder so rational wie irrational, so Wirklichkeit erinnernd wie visionär. Weder Idylle noch Pathetik, eher eine nüchterne Großartigkeit bestimmt in den "Nordischen Landschaften" das absolut zutreffende  Flair.

Erika Rauschning wurde in Stralsund geboren. Seit 1953 lebt sie in Osnabrück. Die umgebende Weite und Unaufgeregtheit niedersächsisch-westfälischer Landschaft ist mit den in der Jugend in Pommern aufgesogenen Bildern durchaus vergleichbar. Der enormen Kreativität der Malerin und Lyrikerin hat der aufgezwungene Stachel des Ortswechsels jedenfalls kaum etwas anhaben können. 

 

Aufgewachsen unter den Himmeln von Caspar David Friedrich und Philipp Otto Runge, erhielt sie ihre künstlerische Ausbildung in Dresden. Durch Studien bei Oskar Kokoschka, Aric Brauer (Altmeisterliche Malerei), Werner Otte (Lithographie) und Rudolf Hradil (Radierung) erweiterte sie ihr künstlerisches Instrumentarium. 

 

Was Malen für Erika Rauschning bedeutet - die schon als Kind "wie besessen" zeichnete und malte und als Siebenjährige ihr erstes Gedicht in das Kontobuch ihres Großvaters schrieb spricht sie in wenigen Zeilen eines Gedichtes aus: 

 

„Farben und Zeichen 

Nicht was dich außen trifft 

was du von innen erfährst 

zählt 

Zeichen werden gegeben 

undenkbare Lösungen 

stellen sich ein 

Der waagerechte Punkt 

die gedoppelte Linie 

Entbunden von Schwerkraft 

setzt du sie aufs Papier ...“

 

Auch ihre Lyrik, über deren sprudelnde Fülle an Themen und Perspektiven sich der Leser in sieben Kapiteln dieses Buches wundern und freuen darf, ist von Bildern bestimmt. Das macht die Aussage plastisch, wenn auch nicht immer so leicht und direkt entschlüsselbar, wie in der folgenden 

 

„Hommage an Gaudi 

... gigantische Freude 

jahrzehntelang ziehen deine strahlenden Farben

durch Kachelmosaik 

liegen deine Steinperlen 

über dem Rücken der Drachen 

Picasso hat sie ausgesogen 

und Miro ...“ 

 

Doppelschichtig, wenn nicht gar widerhakig, gibt sich dagegen folgende Feststellung: 

 

„Das Brennglas 

auf unser Herz gesetzt 

werden wir 

den tötenden Biss

den blutenden Mund

des Mädchens 

auf dem Bild 

von Rene Magritte 

nicht mehr los“ 

 

Zeitkritik? Erika Rauschning fühlt den Neunzigern durchaus den Puls, zählt die Schläge 

und konstatiert Herzflattern. 

 

„Kolonnen von Autolawinen 

kommen zurück 

aus einer Welt 

wo sie dicht an dicht 

über und drüber 

an Stränden gelegen haben 

Da war keine Luft zum Atmen 

Da war Mailand 

die Tauben 

und der ohrenbetäubende Lärm 

der sich als Straßenstaub 

über sie legte ... “

 

In "Kritische Zeitansage" spiegelt sich sozusagen die andere Seite der Medaille: 

 

„Die Welt ist ein großes 

bespanntes Papier 

mit Milliarden Scheinen befedert 

und ich der kleine dressierte Hund 

der früh 

in der Nacht geweckt wird 

aufsteht 

zur Arbeit geht 

durch die Feuerreifen springt 

Reifen für Reifen 

Tag für Tag 

bis er abends ankommt 

und verschwindet...“

 

Ein Hauch von sarkastischer Zufriedenheit liegt dagegen in der Luft, wenn die Lyrikerin ihre Welt "Auf den Kopf gestellt" hat. Dem Leser wird auch ein Blick hinter die Kulissen des Kreativen gewährt, was im Falle dieser Doppelbegabung doppelt wiegt: 

 

„Dichten und Malen 

Wenn die Gedichte 

von mir abfallen 

sind es Fossilien 

aus meiner Haut 

Malen 

die Anzahl der Pinselschläge 

meine Maffia 

aus Messer und Stahlzinken 

Alles ein Rhythmus der Eile 

Wenn die Bewegungen ausbleiben

 sehe ich Straßenschilder ...“ 

 

Mit Gedichten einer "Kindheit in Pommern" rundet sich der pralle Band. "Am Schreibtisch kann ich ein kleines bisschen fliegen," behauptet der Lyriker Jurik Becker. Für Erika Rauschning scheint dies ebenfalls zuzutreffen - nicht nur, wenn sie die Welt ihrer Kindheit von oben sieht: 

 

„Der Tag 

ein wehendes Tuch 

mein erstes Gedicht 

Ich hängte mich daran 

die Pferde standen ruhig 

auf der Weide 

die Kühe grasten 

Der Abend roch nach frischer Milch ... “

 

Malerei ist nach Erika Rauschnings Aussage "Tat", verlangt entsprechendes Stehvermögen und nicht nur Begabung. Lyrik dagegen wird ihr "geschenkt", und zwar während der Fahrt im Auto, rechts auf dem Nebensitz geschrieben. Nichts ist unmöglich! 

Jurik Becker hat wohl auch mit einem zweiten Ausspruch recht: "Jedes Glück braucht eine Chance, noch größer zu werden." Malerei und Lyrik in einer Person - sozusagen Glück hoch. 

 

MARGRET LEJEUNE, Kritikerin, Journalistin

Dickicht

Dein Tod 

wie eine Rose 

schwimmt er an Land 

und ersticht dich

Das wandernde Märchen 

wird wahr 

von jungen Frauen 

die jung sterben 

und zählend an die Fenster 

schreiben 

die Tode von Wundern 

ganz so als wäre es ein Ort 

den Tod umzubringen

Die Majestät des Morgens

Die Majestät des Morgens 

leuchtet 

aufgeschlagen ist der Tag

Wir segeln auf einem Meer 

von Schönheit